Seit alter Zeit gelten Brücken neben Kirchen, Rathäusern und anderen repräsentativen Gebäuden als Wahrzeichen unserer Städte. Sehr schön lässt sich das ablesen am Logo der Stadt Rotenburg (mit und ohne Konne). Die alte Brücke im Zentrum schlägt einen Bogen von einer Kirche zur anderen, zugleich von öffentlichen Rathaus zu den privaten Fachwerk-Bürgerhäusern. Sie überbrückt die Zeitspanne von der mittelalterlichen Vergangenheit (Turm der Stadtmauer) bis zur Gegenwart, sie verbindet von Menschenhand Errichtetes mit der Natur (Bäume).
„Wahrzeichen“ sind nach den Aussagen sprachgeschichtlicher Forschung „Zeichen zur Wahrnehmung“: Man soll an ihnen wahrnehmen, von welchen Leitbildern, Ideen und Lebensentwürfen ihre Auftraggeber, Planer und Erbauer geleitet wurden, was sie in ihrer Zeit und für ihre Stadt für so wichtig hielten, dass sie es zum kulturellen Erbe für ihre Nachkommen bestimmten. Ich meine, an den beiden Rotenburger Brücken und an den drei Fußgängerstegen kann man in dieser Hinsicht sehr viel erkennen.
Was für ein Wahrzeichen könnte die neue, am Wittigsteg geplante Brücke sein ? Was könnten künftige Generationen an ihr ablesen ? Von welchen Leitbildern, Ideen und Lebensentwürfen werden die getrieben, die so etwas in die Welt setzen möchten als kulturelles Erbe für die Nachwelt ?
Warum haben Brücken solche Bedeutung ? Weil Brücken nicht nur mit technischem Aufwand hergestellte Verkehrswege, sondern zugleich bedeutsame Symbole sind. Genau das kann man sich am Rotenburger Logo klarmachen – in dem Sinne, wie ich es oben gezeigt habe. Man kann es sich klarmachen an zahlreichen Redewendungen der deutschen Sprache, siehe den Kasten unten.
Allgemein kann man sagen: Brücken verbinden und führen zusammen (manchmal zuvor Getrenntes), Brücken überwinden Gräben, schaffen Begegnung und Gemeinschaft, führen Teile zu einem Ganzen zusammen, führen aus der Enge ins Weite, leiten zu neuen Wegen hin und zeigen damit neue Perspektiven auf.
Dieser Symbolgehalt hat sich im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt und ist tief in unserer Seele verankert. Deshalb muss dieser Gehalt auch seinen Ausdruck finden in der ästhetischen Gestaltung einer Brücke (vgl. dazu den Streit um die geplante Dresdner Brücke) und in ihrer Verortung im Stadtbild bzw. in der Landschaft, sonst wird sie zum Zeugnis von Unkultur.
Ich frage mich: Hat man bei der bisherigen Planung dies bedacht ? Ich fürchte: nein. Wenn dem so ist, wer will die Verantwortung tragen für eine Brücke, die nichts oder wenig von dem oben Gesagten berücksichtigt – die nicht verbindet, sondern Gräben aufreißt – die letztlich den Namen „Brücke“ nicht verdient ?
Redewendungen zum Stichwort „Brücke“, die den Symbolgehalt verdeutlichen:
- Mit diesem Angebot habe ich ihm eine goldene Brücke gebaut.
- Nach seinem Umzug hat er alle Brücken hinter sich abgebrochen.
- Der Sport soll Brücken schlagen zwischen den Völkern.
- Da mache ich nicht mit, über diese Brücke gehe ich nicht!
- Es gelang nicht, durch diesen Kompromiss die Gegensätze zu überbrücken.
- Über sieben Brücken musst du gehen.
- Picassos Werke gelten als Brückenschlag zwischen archaischer und moderner Kunst.
- Ein Überbrückungsdarlehen half der Stadt über den finanziellen Engpass hinweg.
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